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Eine Adventsgeschichte {Teil 1}

Ein modernes Wintermärchen mit Musik für Erwachsene und Kinder.

Höre den Song zur Geschichte: too much.


Titelbild zur Adventsgeschichte "Mina und der wunderbare Winterwald".

Mina sitzt auf ihrem Sofa und starrt in die Leere. Sie hat so viel zu tun, doch fühlt sie sich wie gelähmt. Es ist Dezember und eigentlich sollte sie Weihnachtsgeschenke einkaufen gehen, das Weihnachtsessen für ihre Arbeitskollegen vorbereiten, ihren Freundinnen den Termin für den Weihnachtsbrunch bestätigen und ihr Heimflug, damit sie mit ihrer Familie Weihnachten feiern kann, hätte schon längst gebucht werden sollen. Doch nichts davon tut sie. Sie kann einfach nicht.

Dieses Jahr hätte es doch anders sein sollen. Mina hat sich bereits seit Monaten auf den Dezember gefreut. Sie liebt die Vorweihnachtszeit und den Anfang des Winters. Und so hat sie sich vorgestellt, dass sie es sich in diesen kalten und dunklen Wochen bei Kerzenschein auf dem Sofa mit einer Tasse warm dampfenden Kakao gemütlich machen würde. Vielleicht würde sie einen ihrer liebsten Weihnachtsfilme schauen oder endlich mal wieder etwas stricken. Aber allem voran wollte Mina einfach Zeit haben und Ruhe.

Zwar sitzt sie jetzt auf dem Sofa, aber von Besinnlichkeit ist nicht die Rede. Verkrampft graben sich ihre Hände in ihre Knie, die sie nahe an ihren Oberkörper gezogen hat. In ihr drin wühlt und stürmt es. Sie versucht sich mit einer tiefen Atmung etwas zu beruhigen, doch es ist wie wenn eine eiserne Hand von ihren Lungen Besitz ergiffen hätte. Das Atmen fällt ihr schwer und sie kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Alles ist zu viel.


Ping.


Ping.


Und dann nochmals und nochmals.


Ihr Handy nimmt ein Eigenleben an und kommt vor lauter Nachrichten fast nicht nach. Mit einem kurzen Seitenblick erfasst Mina das Geschehen. Der Familienchat, der Freundinnenchat, der Arbeitschat, alle fragen nach, ob sie doch nicht kurz Antwort geben könnte, damit man weiterorganisieren kann. Ping. Eine E-Mail, die einen grossen Rabatt verspricht, wenn du nur jetzt sofort auf die Seite klickst! Aber Achtung morgen ist es schon zu spät! Ping. Instagram öffnet sich. All die perfekten Menschen mit ihren perfekten Leben, die ihr Haus perfekt entsprechend dem trendigen Pinterestboard dekoriert haben und Glühwein trinken. Ping. Mama, die fragt, wann sie denn nun nach Hause komme und ob sie nicht noch kurz ein paar Sachen für sie einkaufen gehen könne. Ping. Ping. Ping.

Mina spürt heisse Tränen in ihre Augen steigen. So hätte es doch nicht sein sollen. Wieso kann sie nicht für einmal in Ruhe gelassen werden? Plötzlich, wie von der Tarantel gestochen, springt sie auf. Ohne weiter darüber nachzudenken, zieht sie sich ihren Mantel an. Ihre Hände fassen ganz automatisch nach ihren Winterstiefeln, Mütze, Schal und Handschuhen, während ihr Handy weiter fröhlich im Wohnzimmer vor sich hinpingt.


In voller Wintermontur verlässt Mina ihre Wohnung, zieht vehement die Türe hinter sich zu und tritt hinaus in die Welt. Prompt wird sie von einer Person angerempelt, die mit zig Plastiktaschen bepackt die Strasse entlang sputet. Kurz bleibt Mina stehen. Die Strasse ist gefüllt mit Menschen. Morgen ist der erste Advent, die Weihnachtszeit hat für alle begonnen. Doch für niemanden scheint sie friedlich zu sein. Überall blinkt es, die Schaufenster sind überdekoriert, man weiss gar nicht, wo hingucken, und sowieso, niemand bleibt stehen, um die weihnachtliche Atmosphäre überhaupt wahrzunehmen. Alle sind im Stechschritt unterwegs. Voll beladen mit Taschen sprechen sie in hohem Tempo am Telefon, das sie zwischen Ohr und Schulter geklemmt haben, während sie mit der anderen Hand den Strassenmusikanten lieblos ihr ungeliebtes Münz hinschmeissen.

Was ist nur mit uns geschehen?, geht es Mina durch den Kopf. Wann haben wir vergessen, dass wir auch einmal Ruhe brauchen?

Mina klappt den Kragen ihres Mantels hoch und begibt sich in den Trubel. Die Stresswelle der Menschen schwappt auf sie über und sie wird eine von ihnen, von den Gehetzten, denn das ist der einzige Weg, wie sie überhaupt durch den Tumult kommen kann. Hastigen Schrittes überquert sie die Strasse, weicht den Menschen aus, ihr Blick starr auf den Beton vor sich gerichtet. Durch Häuserschluchten und Tramschienen-Täler. Minas Schritte werden immer schneller. Sie ist auf der Flucht. Vor dem Stress und vor sich selbst. Vor dem ständig vibrierenden Handy und all den Menschen, die etwas von ihr wollen.


Erst als der Asphalt aufhört und ein matschiger Feldweg ihn ablöst, wird sie langsamer. Wieder greifen ihre Hände nach ihren Knien, doch dieses Mal nicht verkrampft, sondern einfach um sich abzustützen. Sie hat es geschafft. Mina hat den Wald erreicht. Sie richtet sich auf und holt tief Luft. Ihre Flucht ist gelungen. Obschon das Brausen der Stadtstrassen noch entfernt hörbar ist, so ist der Lärm zu einem blossen Hintergrundgeräusch reduziert worden. Ihr Atem wird ruhiger und das Eisentor, das ihre Lungen verschlossen hat, löst allmählich seinen Griff ein wenig. Das Atmen fällt ihr leichter, auch weil sie mit jedem Atemzug die Bäume riechen kann, die im Wald vor ihr stehen. Wie den Lärm hat sie auch das Abgas hinter sich gelassen und das gestresste Treiben. Wenige Menschen sind hier am Spazieren. Es haben alle wohl zu viel zu tun, zu viel fürs Weihnachtsfest vorzubereiten.


Mina kennt diesen Ort mit seinem Wald gut. Immer wenn ihr alles zu viel wird, kommt sie hierher. Und doch beschleicht sie nun ein schlechtes Gewissen. Bei ihrem ersten Besuch hier hat sie sich und dem Wald versprochen, dass sie möglichst viel, am liebsten mehrmals in der Woche, hierher kommen würde, was sie natürlich nicht getan hat. Wieder einmal ist das Leben dazwischen gekommen. Und obwohl der Wald ja eigentlich nicht weit von ihrer Wohnung entfernt liegt, war es meistens das Sofa, auf das sie ihren Körper am Ende des Tages legte, und nicht der weiche Moosboden. Und so wurde dieser Wald ihr Refugium immer dann, wenn es ihr gerade nicht gut ging und sie Antworten brauchte, die sie hier immer fand. Aber eigentlich hätte sie den Wald doch auch gerne an guten Tagen besucht, weil sie wusste, wie gut er ihr tat.

Mina hebt nun ihren Kopf, um in die Baumkronen zu schauen. Sie sind allesamt nackt und scheinen beinahe tot. Eins, zwei Schritte und Mina befindet sich im Wald. Es überrascht sie jedes Mal, wie wirkungsvoll dieses Eintreten ist. Alles wird hinter sich gelassen und Mina tritt in eine vollkommen andere Welt. «Hallo, alter Freund», flüstert sie dem Baum neben ihr zu. Ein leises Lächeln ziert ihr Gesicht, während sie langsam und ohne bestimmtes Ziel weitergeht.


Hat dir der erste Teil meiner Adventsgeschichte gefallen? Teile sie gerne mit deinen Freunden, Bekannten, deiner Familie und den Kindern in deinem Leben. =) Und vergiss nicht den Song zu diesem Teil zu hören!


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Ich bin auch Yoga Lehrerin und führe Rituale und Retreats in der Natur durch. Vielleicht sehen wir uns mal auf der Matte?

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